Open-Air-Austellung

„Von der Burg zur Stasizentrale“ – Erinnerungen an den Leipziger Matthäikirchhof

Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke” präsentiert im Rahmen der Diskussion um die Zukunft des Areals der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung auf dem früheren Matthäikirchhof diese Open-Air-Ausstellung.

Auf dem Hintergrund der mehr als 1000jährigen Stadtgeschichte Leipzigs, die hier mit der urbe libzi ihren Ursprung nahm, steht vor allem die Entwicklung seit Anfang des letzten Jahrhunderts im Mittelpunkt. Vom Verwaltungsneubau der Leipziger Feuerversicherungsanstalt 1913, über die Zerstörung der Matthäikirche und des gesamten angrenzenden Areals in der Bombennacht vom 4. Dezember 1943, der Nutzung der „Runden Ecke” unter amerikanischer und sowjetischer Besatzung und schließlich als Sitz der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bis zur Besetzung während der Friedlichen Revolution am 4. Dezember 1989 und der nachfolgenden Auflösung wird die wechselvolle Geschichte dieses Areals bis in die Gegenwart erzählt.

Der Gesamtkomplex stellt in seiner Ambivalenz ein wichtiges architektonisches Zeitzeugnis für Diktatur, Revolution und Demokratie im 20. Jahrhundert dar. Das zwischen 1911 und 1913 erbaute Versicherungsgebäude war spätestens seit 1951 die Leipziger Stasi-Zentrale und damit als „Runde Ecke” Sinnbild der SED-Diktatur und den damit verbundenen Repressionen. Zugleich war es aber auch ein Schauplatz demokratischer Entwicklungen – sowohl 1945 als auch 1989. Die Stasi- Bezirksverwaltung erweiterte die Gebäude 1958 um den Saalbau und gemeinsam mit der Volkspolizei 1985 um den großen Neubaukomplex.

Die Ausstellung wählt den Zugang über die Erinnerung. Wenn heute von diesem Areal die Rede ist, spricht man allgemein von dem bei dem großen Bombenangriff 1943 total zerstörten Matthäikirchhof, ohne dass es noch eine konkrete Vorstellung der damaligen baulichen Ausformung dieses Gebietes gibt. Einzig die „Runde Ecke” blieb unzerstört und diente der US-Armee nach der Befreiung Leipzigs von der NS-Diktatur während der nur zehn Wochen dauernden amerikanischen Besatzung als Hauptquartier. Diese kurze Zeit demokratischer Entwicklung wurde in der Erinnerung durch die folgende sowjetische Besatzung überlagert. Nach der Beräumung der Trümmer förderten archäologische Ausgrabungen die wortwörtlich seit Jahrhunderten verschütteten Erinnerungen aus der Zeit des Franziskanerklosters bis zur Burg urbe libzi und der frühen slawischen Besiedlung zutage, die sich hier dereinst befanden. Die dann folgende Bebauung des Areals mit verschiedenen Erweiterungsbauten der Staatssicherheit und deren Besetzung während der Friedlichen Revolution prägt die Erinnerung der letzten 30 Jahre. Das Stasi-Unterlagen-Archiv und die Gedenkstätte „Runde Ecke” halten diese bis heute wach.

Ausstellungsort: Goerdelerring, ehemaliger Stasi-Neubau in Nähe der Klingertreppe

Open-Air-Austellung - Bild1
Open-Air-Austellung - Bild 1

 

Open-Air-Austellung - Bild 2
Open-Air-Austellung - Bild 2

 

Open-Air-Austellung - Bild 3
Open-Air-Austellung - Bild 3

 

Open-Air-Austellung - Bild 4
Open-Air-Austellung - Bild 4

 

Open-Air-Austellung - Bild 5
Open-Air-Austellung - Bild 5

 

Die Ausstellung wurde unterstützt vom Freistaat Sachen und mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts.

Finanziert durch den Freistaat Sachsen

 

Geschichte des Areals

Geschichte des Areals - grafisch, Teil 1

929 vermutliche Fertigstellung der wohl 1. Burg (Urbs Lipsk), 1015 erste urkundliche Erwähnung. 1216 Eroberung Leipzigs durch Dietrich dem Bedrängten, der diese Burg (neben 2 weiteren) zur Zwingburg gegen die Leipziger umbaute.

A -1015 (929 bis 1224) Burg und Zwingburg I, Grafik: Christian Pfeiffer
A -1015 (929 bis 1224) Burg und Zwingburg I, Grafik: Christian Pfeiffer

 

1224 Rückeroberung und Schleifung der Burg durch Leipziger mit Hilfe des pro-päpstlichen Ludwig II. von Thüringen. 1240 Übergabe des Grundes an die Kirche zum Bau eines der 3 Klöster Leipzigs. 1501 Fertigstellung der Kirche. 1543 Aufgabe aller Klöster (hier jedoch kein Abriss: Teilung und Verkauf, Kirche bis 1699 durch Händler als Lager genutzt).

B - 1494 (1224 bis ca. 1800) Rückeroberung I, Grafik: Christian Pfeiffer
B - 1494 (1224 bis ca. 1800) Rückeroberung I, Grafik: Christian Pfeiffer

 

Ende des 18. Jh. Rückbau der Stadtmauer und Umbau der anliegenden Gebäude (fortan 2 Vorderseiten). 1876 Umbenennung der 1699 als "Neukirche" wieder geweihten Kirche zur Matthäikirche. Ort selbst gilt bis dahin als "vergessen" aber "idyllisch".

C - 1880 (ca. 1800 bis 1908) Rückbau Stadtmauer, Grafik: Christian Pfeiffer
C - 1880 (ca. 1800 bis 1908) Rückbau Stadtmauer, Grafik: Christian Pfeiffer

 

1908 "Zerstörung" des "Idylls" (Paul Holstein, 1907) durch Abriss der sensibelsten Stelle und Neubau "Wünschmanns Hof" (1908) sowie der "Runden Ecke" (1913). Steht im Kontext zur derzeitigen grobporigen Überbauung der Innenstadt mit Messehäusern (notwendig auf Grund Industrialisierung). Gebäudeseite der Runden Ecke als Hofseite "gestaltet".

D - 1913 (1908 bis 1943) Zerstörung I, Grafik: Christian Pfeiffer
D - 1913 (1908 bis 1943) Zerstörung I, Grafik: Christian Pfeiffer

 

1943 weitgehende Zerstörung der Gebäude durch Luftangriff. 1948 Angliederung der Matthäigemeinde an St. Thomas, fortan 24.000 Mitglieder (heute 2700). Bis 1953 endgültiger Abriss durch Stadt. 1950 Bezug der "Runden Ecke" durch Stasi und Volkspolizei.

E - 1970er (1943 bis 1985) Zerstörung II+III & Zwinghaus, Grafik: Christian Pfeiffer
E - 1970er (1943 bis 1985) Zerstörung II+III & Zwinghaus, Grafik: Christian Pfeiffer

 

1985 Fertigstellung des Erweiterungsbaus für Stasi und Volkpolizei. 1989 durch die Leipziger auch mit Hilfe der Kirche erobert. Seither "Runde Ecke" durch Museum und BStU genutzt, der Teil der "VoPo" durch die Telekom. Der Erweiterungsbau wird teilweise durch die Stadt genutzt.

F - 2009 (seit 1985) Zwinghaus II & Rückeroberung II, Grafik: Christian Pfeiffer
F - 2009 (seit 1985) Zwinghaus II & Rückeroberung II, Grafik: Christian Pfeiffer

 

Geschichte des Areals - historische Aufnahmen

Mathäikirchhof im Juli 1929, Landesarchiv NRW (Junkers Luftbild, RW 0229-25679)
Mathäikirchhof im Juli 1929, Landesarchiv NRW (Junkers Luftbild, RW 0229-25679)

 

Das Areal der ehemaligen Stasi-Zentrale und der Volkspolizei nach der Friedlichen Revolution in den 1990er Jahren, GMRE (Andre Rotter, F.A.30162)
Das Areal der ehemaligen Stasi-Zentrale und der Volkspolizei nach der Friedlichen Revolution in den 1990er Jahren, GMRE (Andre Rotter, F.A.30162)

 

Das zerbombte Areal am 11.4.1945. Luftbilddatenbank Ing.f Büro Dr. Carls, 106 G/5281, Aufn. 4069
Das zerbombte Areal am 11.4.1945. Luftbilddatenbank Ing.f Büro Dr. Carls, 106 G/5281, Aufn. 4069

 

Das komplett von Trümmern beräumte Areal während archäologischer Grabungen 1953, SGM (F/214/2010)

 

Geschichte des Areals - grafisch, Teil 2

Städtebauliche Struktur und Parzellenplan vor der Kriegszerstörung, Grafik: Heinz-Jürgen Böhme
Städtebauliche Struktur und Parzellenplan vor der Kriegszerstörung, Grafik: Heinz-Jürgen Böhme

 

Heutige Situation, Grafik: Heinz-Jürgen Böhme
Heutige Situation, Grafik: Heinz-Jürgen Böhme

 

Geschichte des Areals - Überreste des steinernen Bergfrieds der mittelalterlichen Burg

Freigelegte Überreste eines steinernen Bergfrieds vom unbewohnten Hauptturm der mittelalterlichen Burg im November 1955 Foto: unbekannt (SGM, Grabungsdokumentation Küas)
Freigelegte Überreste eines steinernen Bergfrieds vom unbewohnten Hauptturm der mittelalterlichen Burg im November 1955 Foto: unbekannt (SGM, Grabungsdokumentation Küas)

 

Grabungszeichnung vom Matthäikirchhof Graben 108 der Überreste des Fundaments des Burgturms von 1955 SGM, Grabungsdokumentation Küas, G/2014/
Grabungszeichnung vom Matthäikirchhof Graben 108 der Überreste des Fundaments des Burgturms von 1955 SGM, Grabungsdokumentation Küas, G/2014/

 

Der Leipziger Stadtkernforscher und Archäologe Herbert Küas hat zwischen 1950 und 1955 in sechs Grabungskampagnen über 100 Suchgäben angelegt und die ursprüngliche Bebauung des früheren Matthäikirchhofs dokumentiert. Entgegen der heutigen Praxis wurden aber die ergrabenen steinernen Zeugnisse weitgehend im Boden belassen, so dass davon auszugehen ist, dass sich auch die Überreste des steinernen Bergfrieds der mittelalterlichen Burg aus dem 13. Jhd. Noch im Boden befinden. Schon 1975 hatte die Stadt Leipzig geplant, diese erhaltenen Überreste sichtbar zu präsentieren.

Plan des Matthäikirchhofes mit Präsentation des Turmfundaments des Burgturms im städtebaulichen Kontext vom 25.05.1957 (Stadtarchiv Leipzig, BCA 5240)
Plan des Matthäikirchhofes mit Präsentation des Turmfundaments des Burgturms im städtebaulichen Kontext vom 25.05.1957 (Stadtarchiv Leipzig, BCA 5240)

 

Debatte

Unbequeme Bauten? – Zum Umgang mit dem baulichen Erbe der DDR am Matthäikirchhof Leipzig „Stasi-Zentrale – Erhalt oder Abriss? – Zum Umgang mit einem schwierigen Ort - Podiumsdiskussion